Wiegand, Hertha, geb. Lion, Dr. med.
geboren 6. Juli 1890
12. Januar 1944
gestorben in Karlsruhe auf dem Transport nach Theresienstadt
Suizid
Lange blieb die beliebte Offenburger Ärztin wegen ihrer "privilegierten Mischehe" von der Deportation verschont. Als sie Anfang 1944 nach Theresienstadt verschleppt werden sollte, beendete sie ihr Leben mit Tabletten.
Hertha Lion wurde am 6. Juli 1890 in eine jüdische Familie in Ettenheim geboren. Sie besuchte das dortige Realgymnasium und schloss die Schule 1909 mit einem hervorragenden Abitur ab. Als erste Frau hielt sie an ihrer Schule die Abiturrede. Hertha entschied sich für das Studium der Medizin und studierte in Freiburg, München und Heidelberg. 1914 legte sie ihr medizinisches Staatsexamen ab und schrieb 1915 ihre Doktorarbeit.
Im gleichen Jahr, am 8. März 1915, heiratete sie ihren evangelischen Studienkollegen Otto Wiegand, der aus Dessau stammte. Beide Ehepartner waren in den Kriegsjahren zunächst in einem Lazarett bei Titisee tätig. Im Anschluss an Assistenzjahre in Düsseldorf und Marburg/Lahn ließ sich das Ärzteehepaar nach dem Ersten Weltkrieg in Offenburg nieder und eröffnete eine gemeinsame Praxis. Am 22. September 1920 wurde dort ihre Tochter Dorothea geboren.
1925 verstarb Otto Wiegand, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, an einer Kriegsfolgekrankheit. Hertha Wiegand führte die Praxis als Frauen- und Kinderärztin allein weiter und zog mit ihrer Tochter 1928 in die Wasserstraße 8 um. Durch ihre ärztliche Tätigkeit - sie wandte moderne Heilmethoden an - und ihr soziales Engagement war sie bald in der ganzen Region bekannt und empfing auch Patienten von weither.
Hertha Wiegand liebte Schwarzwaldwanderungen und war interessiert an Kunst, Musik und Literatur. Bei dieser Beschäftigung fand sie Erholung vom anstrengenden Leben einer alleinerziehenden berufstätigen Mutter. Nach dem Tod ihres Mannes war sie aus der jüdischen Gemeinschaft ausgetreten und blieb konfessionslos.
Gleichwohl wurde sie nach der Machtübernahme Hitlers an der Ausübung ihres Berufs gehindert und verfolgt. Bereits 1933 versuchten die Nationalsozialisten ihre Praxis zu schließen. Am 30. September 1938 entzogen sie ihr, trotz aller Proteste, aufgrund der vierten Verordnung des Reichsbürgergesetzes (Nürnberger Gesetze) die Approbation. Ohne Verdienstmöglichkeit musste sie das Haus in der Wasserstraße 8 weit unter Wert verkaufen und mit ihrer Tochter in die ehemaligen Praxisräume im Erdgeschoss ziehen.
Als am 22. Oktober 1940 die jüdische Bevölkerung Badens und der Saar-Pfalz von den Nazis in das südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert wurden, blieb Hertha Wiegand zunächst verschont, da sie in einer "privilegierten Mischehe" gelebt hatte. 1942 erhielt sie ihren ersten Deportationsbefehl, der jedoch wegen Protesten aus dem Kollegenkreis und aus der Bevölkerung widerrufen wurde. Zwei Jahre später, am 10.Januar 1944, sollte die schwerkranke Frau schließlich doch noch nach Theresienstadt deportiert werden. Unterwegs im Zug nahm sie eine Überdosis Schlaftabletten zu sich und zog so der entwürdigenden Deportation die Würde der Wahl des Todes vor, wie es der Historiker Frank Stern formulierte.
Hertha Wiegand starb am 12. Januar 1944 in Karlsruhe.