Am Montag entscheidet der Offenburger Gemeinderat über die Vorschlagsliste zur Schöffenwahl, die er bis zum 23. Juni den Gerichten einzureichen hat. Zunächst soll in nichtöffentlicher Ausschussitzung darüber beraten werden, ob Bewerber von der Liste zu streichen sind, weil sie sich nicht für das Schöffenamt eignen. Danach wird voraussichtlich der Gemeinderat in einer außerordentlichen Sitzung über die Liste abstimmen.
In einem Fernsehbericht des SWR hat der Fraktionsvorsitzende der AfD am Donnerstag mit heuchlerischer Unschuldsmine betont, dass er keine Kinder missbrauche und sich auch sonst nichts habe zuschulden kommen lassen. Das Grundgesetz schütze ihn davor, wegen seiner politischen Gesinnung diskriminiert zu werden: Scheinbar darf die AfD in diesem Land jeden von der Außenministerin bis zum Migranten diskriminieren - doch wenn sie selbst betroffen ist, verfällt sie in die Opferrolle. Wir kennen dieses populistische Argumentationsmuster längst.
Die politische Gesinnung des Fraktionsvorsitzenden, der sich über die Abstimmung im Gemeinderat sogar selbst als Schöffe vorschlägt (!), lässt sich etwa wie folgt beschreiben: Seit zehn Jahren Mitglied und zuletzt im Landesvorstand einer Partei, die wegen ihrer rechtsextremistischen Umtriebe bundesweit und auch in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachtet wird, Mitunterzeichner eines Manifests des inzwischen aufgelösten rechtsradikalen Flügels dieser Partei, wiederholte Provokationen mit antisemitischen, rassistischen und an den Nationalsozialismus erinnernden Aktionen - daneben ist keine sinnvolle politische Aktivität (etwa für das Gemeinwohl) zu verzeichnen.
Wir möchten die Offenburger und insbesondere die Gemeinderäte darauf hinweisen, dass die Berufung des AfD-Vorstands auf das Grundgesetz ins Leere geht, denn die „Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums, des Innenministeriums und des Sozialministeriums über die Vorbereitung und die Durchführung der Wahl der Schöffen und Jugendschöffen für die Geschäftsjahre 2024 bis 2028“ (VwV Schöffen vom 8. Dezember 2022 - Az: 3222-6/2) schreibt unter Punkt 2.2 ausdrücklich vor:
„Bei der Auswahl der Personen für die Vorschlagsliste ist darauf zu achten, dass diese für das Schöffenamt geeignet sind.[…] Zudem ist zu beachten, dass ehrenamtliche Richterinnen und Richter einer Pflicht zur besonderen Verfassungstreue unterliegen. […] Dies folgt aus ihrer Funktion als den hauptamtlichen Richtern gleichberechtigte Organe staatlicher Aufgabenerfüllung. Es ist daher darauf zu achten, dass die auszuwählenden Personen nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung – einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung – die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden."
Und noch deutlicher heißt es: "Die durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte Pflicht zur Verfassungstreue erstreckt sich auch auf Aktivitäten außerhalb des eigentlichen Ehrenamts, also beispielsweise auch auf extremistische Aktivitäten von einer gewissen Erheblichkeit (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Mai 2008, NJW 2008, S. 2568 ff.).“
Wer Mitglied einer rechtsextremistischen Partei ist oder sich für sie aktiv auf der Straße und Internet engagiert, wie es bei den von der AfD vorgeschlagenen Kandidaten der Fall ist, dem darf man wohl zu Recht eine rechtsextremistische Gesinnung unterstellen, die ihn ungeeignet für das besondere Amt eines Schöffen macht - da hilft auch das Grundgesetz nicht.
Das Debakel um die Schöffenwahl in Offenburg deckt zahlreiche ungeregelte Details rund um das intransparente Verfahren auf: Handelte die Stadtverwaltung mit der Veröffentlichung der Liste vor der Beschließung durch den Gemeinderat rechtswidrig? Darf (oder muss?) über die Kandidaten einzeln abgestimmt werden? Darf sich ein Gemeinderat durch Abstimmung wirklich selbst als Schöffe vorschlagen? Welcher Richter steht dem Schöffenwahlausschuss vor? Wer sind die restlichen Mitglieder dieses Ausschusses? Wer bestimmt diese? Und nach welchen Kriterien wählt der der Ausschuss am Ende Schöffen aus? Diese und weitere zentrale Fragen zur Besetzung dieser wichtiger Ämter im Justizsystem unseres Bundeslandes sind nicht transparent und nicht klar geregelt geregelt. Die Justizministerin (von der CDU) will das ändern - nach der Wahl!