17. Juni 1933 in Offenburg: „Undeutscher Geist verbrenne“


 

Wie in anderen deutschen Städten wurden auch in Offenburg Bücher verbrannt. Für die Tage um den 17. Juni 1933 rief die Hitlerjugend unter ihrem Führer Kemper zwei „kulturelle Kampfwochen“ aus: Propaganda und Mobilmachung gegen SPD, KPD, Gewerkschaften, Zeitungen, Verlage, Künstler und Schriftsteller. Höhepunkt der ersten Woche sollte die Verbrennung „undeutscher“ Bücher und Schriften sein. „Die gesamte Bevölkerung, alle Bibliotheken, werden aufgefordert, die jüdischen Schmutz- und Schundschriften abzuliefern. Am Ende dieser ersten Woche wird die HJ in jeder badischen Stadt einen großen Demonstrationszug veranstalten, um bei einer Kampfrede gegen die Schmutz- und Schundliteratur den gesammelten Bücherdreck feierlich zu verbrennen“, schreibt das Offenburger Tageblatt am 14. Mai 1933.

 

Am Vorabend des 17. Juni 1933 zog dann die Hitlerjugend in Offenburg von Tür zu Tür, um die vermeintlich „undeutschen“ Schriften einzusammeln. Dies war nur der Auftakt zu den nachfolgenden „Säuberungen“ der Offenburger Bibliotheken. Die Stadtbibliothek entfernte insgesamt 28 Bücher, unter anderem „Emil und die Detektive“. Auch drei private Bibliotheken übergaben Bücher an die Jugendabteilung der Nationalsozialisten. Drei Tage vor der Verbrennung der Bücher fand für diese eine Kundgebung im Hotel „Drei Könige“ statt. Auch darüber berichtet das Offenburger Tageblatt ausführlich und machte sich so zum willigen Erfüllungsgehilfen des HJ-Führers Kemper, der sich mit der Aktion in Baden als Nazi profilieren wollte.

Pressefreiheit gab es längst nicht mehr: „D’r alt Offeburger“, eine sozialdemokratisch ausgerichtete Zeitung, war schon im März 1933 verboten worden, und auch ein letzter Versuch der zentrumsnahen „Offenburger Zeitung“ scheiterte: Sie wurde im Dezember 1935 eingestellt und vom führertreuen Offenburger Tageblatt übernommen. Das einst liberale Tageblatt passte sich den politischen Verhältnissen im vorauseilenden Gehorsam an und berichtete parteikonform. So wurde eine Woche lang täglich für die bevorstehende Verbrennung Werbung gemacht, die Reden des HJ-Führers und anderer Parteifunktionäre wurden im Wortlaut abgedruckt, damit sich der Nationalsozialismus unter den Offenburgern durchsetzen konnte. Im Vorfeld war die Bevölkerung per Bekanntmachung im Offenburger Tageblatt zur Teilnahme verpflichtet worden: „Jeder anständige Deutsche wird aufgefordert, jüdische Schund- und Schmutzbücher der zuständigen Hitlerjugendführung zu übergeben.“

 

"Feuersprüche" für die Offenburger

 

Wie in Berlin und anderen Großstädten wurden auch in Offenburg die Bücher von uniformierten Hitlerjungen ins Feuer geworfen, begleitet von verachtenden Bemerkungen, den sogenannten „Feuersprüchen“, an deren Ende stets die Zeile „Undeutscher Geist verbrenne“ wiederkehrte. Auch diese Sprüche wurden sämtlich im Offenburger Tageblatt abgedruckt. Aus den Fenstern rund um den heutigen Rathausplatz, wo die Bücherverbrennung nach Einbruch der Dunkelheit stattfand, schauten Anwohner zu. Vor dem Rathaus standen andere Offenburger, hörten die Reden der Nazis und sangen das Horst-Wessel- Lied. Als die Versammlungen vorbei und die Bücher verbrannt waren, hatte Offenburg einen weiteren Schritt in die Diktatur getan.

 

Das Offenburger Tageblatt berichtete auch nach der Veranstaltung noch mehrfach über das kulturlose Geschehen. Abgesehen von dieser Nazi-Propaganda war die Freiheit der Presse nun abgeschafft, die Opposition unterdrückt: Der Nationalsozialismus wurde von diesem Tag an zur herrschenden Ideologie in der Stadt. Nach der Deportation von 6500 badischen, pfälzischen und saarländischen Juden meldete der für Baden zuständige Gauleiter 1940 stolz an den Führer in Berlin, dass sein Gau als erster Gau im Reich "judenfrei" sei.

 

An die Bücherverbrennung sieben Jahre zuvor erinnert sich Zeitzeugin Clementine Neu: „Unvergesslich bleibt uns das gemeinsame Erlebnis der Bücherverbrennung am Samstag, den 17. Juni 1933. So mag die Hexenverbrennung im Mittelalter vor sich gegangen sein. Es waren keine Hexen, auch nur wenig Bücher, sondern meist Flugblätter und Zeitschriften, die den Feuertod fanden.“ Auch die damals zwölfjährige Dorothea Siegler-Wiegand erinnert sich. Sie hat das Geschehen mit ihrer Freundin, der Tochter des damaligen Bürgermeisters Josef Holler, vom Fenster über dem Rathaus-Balkon aus verfolgt: Unheimlich sei ihr zumute gewesen und eine dunkle Vorahnung hätte sie gehabt; die Szenerie sei gespenstisch gewesen. Sie sollte recht behalten, denn ihre Mutter überlebte den Transport in ein Vernichtungslager nicht. An sie erinnert heute ein Stolperstein in der Wasserstraße vor dem Haus Nr. 8.

 

Gleichschaltung aller Lebensbereiche

 

Die Bücherverbrennung war der Auftakt zur Zensur bis in den privatesten Bereich, Machtergreifung und Gleichschaltung waren damit in Offenburg angekommen und machten sich in den Haushalten breit. Bücher wurden weiter regelmäßig kontrolliert und die sogenannte „Schwarze Liste“ ständig erweitert. Bibliotheken wurden verpflichtet, „undeutsche“ Literatur zu entfernen und die Anschaffung neuer Bücher reglementiert und überwacht.

 

Auch in Gengenbach, Zell am Harmersbach, Haslach, Wolfach, Schiltach und Kappelrodeck wurden Bücher dem Feuer übergeben – um nur einige Orte aus der Umgebung zu nennen. In Haslach beispielsweise wurden „undeutsche“ Bücher im Rahmen einer Sonnwendfeier am Sportplatz verbrannt – etwa zehn Jahre später sollte dort ein Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof stehen. So wurde schließlich wahr, was Heinrich Heine schon 1823 schrieb: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“