+++ Manipulierte Meinungen +++
„Für die Grundrechte“ versammeln sich samstags Menschen auf dem Platz der Verfassungsfreunde. So steht es jetzt sogar auf einem Banner der Veranstalter. Über die tatsächlichen Ziele dieser Versammlung werden die Teilnehmer allerdings getäuscht. Das wird in dazugehörigen Chatgruppen deutlich: Dort versuchen verschiedene Wortführer, die Teilnehmer für ihre zum Teil rechtsextremen Anliegen zu gewinnen. Einige davon stellen wir hier vor. Sie sind der Grund, warum sich „Aufstehen gegen Rassismus Offenburg“ gegen diese Treffen engagiert.
Die Redner auf dem Platz der Verfassungsfeinde wettern meist gegen „die da oben“, gegen „die Politiker“ (aller Parteien) und gegen „das System“ unserer parlamentarischen Demokratie. Sie wollen selbst bestimmen und glauben, kritisch zu denken, haben aber keine konkreten Alternativen. Viele Teilnehmer dürften Nichtwähler sein. Die Corona-Maßnahmen zum Schutz anderer, die Maskenpflicht und eine zurzeit gar nicht mögliche Impfung lehnen sie kategorisch ab.
Initiator Hubert Kraus engagierte sich für „Widerstand 2020“ um Schwindelarzt Bodo Schiffmann. Die rechtspopulistische Bewegung wollte eigentlich zu Wahlen antreten, hat sich aber längst selbst zerlegt. In diesen Tagen soll dort etwas Neues entstehen. Kraus nimmt eine Auszeit, distanziert sich aber zu keinem Zeitpunkt von der „Widerstand“-Bewegung. Wenn wie am vergangenen Samstag mal Demo-Teilnehmer selbst zu Wort kommen, wird die Sorge geäußert, bald wieder in einer Diktatur „wie unter Adolf H.“ leben zu müssen, oder es schimpft ausgerechnet ein Lehrer (!) über die angeblich gleichgeschalteten Staatsmedien.
In den Chats wird von vielen der knapp 200 Mitglieder die Meinung vertreten, dass die „BRD GmbH“ kein rechtmäßiger Staat sei: Das Land habe keine gültige Verfassung, sondern nur ein Grundgesetz, und selbst das sei, wie einige meinen, seit 1990 nicht mehr in Kraft. Vereinzelt wird sogar behauptet, dass die Verfassung des Kaiserreichs nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus fortgelte, und dass Deutschland weiterhin in den Grenzen von 1937 existiere.
Besonders aktiv sind in den öffentlichen Telegram-Chats Anhänger der sogenannten „Verfassunggebenden Versammlung“ (VV). Diese arbeitet seit Jahren konspirativ an einer neuen Verfassung für einen „Bundesstaat Deutschland“: Sie soll nach dem „Sturz des Systems“ unser Grundgesetz ablösen. Die völkische Bewegung wird daher zurecht den Reichsbürgern zugerechnet.
Im Chat agieren für sie beispielsweise der Kampfsportler Timo aus Lahr, Lukas P. aus Haslach, Karina Sch. aus Kehl, Julez_76 oder Klaudia A., die in den vergangenen Wochen mehrfach gemeinsam mit dem Rechtsradikalen Mario Kurz auftrat. Eine weitere Wortführerin nennt sich gar „Adriane a.d.F. von Ottenhöfen“ – das Kürzel bedeutet „aus der Familie“ und ist im Internet ein Erkennungszeichen der Reichsbürger, die sich mit dem Zusatz von ihrem amtlichen Personenstand distanzieren.
Und noch ein Erkennungszeichen erscheint im Chat: Mit „WWG1WGA“ grüßt einer dieser Nutzer die Runde. In Social Media und auf Demonstrationen verwenden Anhänger der QAnon-Verschwörungsideologie dieses Kürzel als Erkennungszeichen (Es bedeutet „Where we go one, we go all“). Bei der ursprünglich US-amerikanischen QAnon-Bewegung geht es um eine vermeintliche Welt-Verschwörung: Eine korrupte Elite in Parteien, Banken und Medien herrsche heimlich über die USA - und ausgerechnet Donald Trump sei vom Militär dazu auserwählt, diesen „Staat im Staate“ (Deep State) zu Fall zu bringen. Sowohl er als auch Wladimir Putin werden in den Chats immer wieder als politische Vorbilder gefeiert.
Seit 2020 behaupten QAnon-Anhänger, die weltweiten Coronamaßnahmen dienten nicht der Bekämpfung der Pandemie, sondern dazu, Kinder aus den Folterkellern zu befreien, in denen sie angeblich im Auftrag dieser Elite gefangen gehalten werden. Die jüdische Familie Rothschild sei Anführer dieses satanistischen Kults und Hillary Clinton sowie viele Hollywoodstars seien pädophil und deshalb daran beteiligt. QAnon verbreitet so das alte antisemitische Muster eines internationalen Komplotts, in dem der jüdischen Familie die Finanzierung einer globalen Verschwörung unterstellt wird. Auch der Name Rothschild ist im Telegram-Chat von Hubert Kraus schon mehrfach ohne jeden Widerspruch der Administratoren gefallen.
Die Organisatoren der Versammlung stellen nämlich diese antidemokratischen Ideen und Verschwörungsideologien nicht grundsätzlich in Frage, zumal sie von den Agitatoren immer wieder geschickt daran erinnert werden, dass doch Meinungsfreiheit gelten solle. Chatgründer Kraus schreibt, er beschäftige sich schon „seit mehreren Jahren“ mit diesen Themen und auch er sehe darin die „einzige Lösung für unser Land.“
Jedoch hält er die Versammlungsteilnehmer für noch nicht ausreichend vorbereitet: „Wir können dieses Thema allerdings noch nicht auf der Demo bringen, weil einfach zuviele Menschen noch nicht reif dafür sind“, lässt er seine Chatfreunde wissen. Nur vereinzelt wurden, aus Angst vor der Presse, rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Beiträge gelöscht oder Chat-Mitglieder verbannt: Die eröffneten daraufhin eigene Chatgruppen, ebenfalls mit Teilnehmern der Demos, und diskutieren dort munter weiter über verfassungsfeindliche Inhalte.
In diesem Umfeld bewegen sich also die Esoteriker, Alternativmediziner, Impfgegner, Coronaleugner und Regierungsfeinde, die jeden Samstag aus der gesamten Ortenau anreisen - darunter Lokalpolitiker der Grünen und sogar eine Gemeinderätin der CDU in Offenburg. Sie treffen auf dem Platz der Verfassungsfreunde auf Rechtsextreme, auf Reichsbürger, auf Verschwörungsideologen, auf AfD-Anhänger, auf Offenburger Ärzte, die Blanko-Atteste gegen die Maskenpflicht ausstellen und sich damit vermutlich strafbar machen, und auf Menschen, die einfach nur im Schneeballsystem königliche Kosmetikprodukte verkaufen wollen.
Um zu verhindern, dass in diesem Land noch einmal Extremisten, Narzissten und Wirrköpfe die Macht an sich reißen, ist nach dem Niedergang des Nationalsozialismus übrigens 1949 das Grundgesetz niedergeschrieben und verabschiedet worden. Die beste Verfassung der Welt schreibt Grundrechte fest und regelt das Funktionieren unserer repräsentativen Demokratie. Und das ist gut so.